10. Teil – Wirtschaftsraum Bern

Die laufende Erbrechtsrevision

Die Welt der Gesetze unterlag in den vergangenen 100 Jahren einem starken Wandel. Heute gehört es schon zum Alltag der Bevölkerung, dass sie sich über wesentliche Gesetzesänderungen informieren muss. Die Gründe dafür sind vielfältig. Natürlich gehören u.a. die Globalisierung und auch die Veränderung der Bevölkerung und deren Wertvorstellungen dazu, wie z.B. die «Ehe für alle» schön aufzeigt.

Allerdings finden wir, dass einer der Hauptantriebe in der Tendenz besteht, jeden noch so kleinen Lebensbereich und Geschäftsbereich zu regulieren und dass dieser seine Spitze insbesondere in der Geschäftstätigkeit immer mehr erreicht. Ein weiterer Hauptantrieb ist das Thema Haftungsminimierung. Vor dreissig Jahren mussten beispielsweise bei einem längeren Spitalaufenthalt ein paar Formulare ausgefüllt werden. Heute müssen bereits bei einem kurzen Besuch für eine Bildaufnahme zahlreiche Formulare unterzeichnet oder ausgefüllt und unterzeichnet werden. Der Papierkrieg ist so enorm, dass einem in der Zeit, in welcher man die Formulare unterzeichnen muss, überhaupt nicht genug Zeit bleibt, um zu lesen was man unterschreibt. Es sind sogar so viele Formulare, dass nicht immer an alle gedacht wird. Neulich berichtete ein Manager, dass im Moment wo man sich auf der Sachebene auf einen Deal geeinigt habe, die Schwierigkeiten erst beginnen. Dann nämlich, wenn die Juristen den Deal so in einen Vertrag kleiden, dass die Sachebene die getroffenen Abmachungen nicht mehr wiedererkennt.

Ein weiteres Beispiel sind die Webseiten von Unternehmen. Während früher oft nicht einmal AGB’s aufgeschaltet wurden, finden sich heute AGB, Datenschutzerklärungen und weitere für den Laien schwer verständliche Unterlagen auf der Webseite. Plötzlich gibt es Datenschutzbeauftragte in Unternehmen und vielfältige Pflichten in Zusammenhang mit der Verarbeitung von Personendaten. Zum Schutz von Individuen und Unternehmen sind solche Regulierungen einerseits zu begrüssen. Andererseits bewirken diese, dass sich die Gesetze immer mehr zu einem unübersichtlichen, undurchdringlichen Urwald verdichten, der sowohl im Privatleben als auch im Geschäftsleben dafür sorgt, dass wir einen grossen Teil unserer Zeit und Ressourcen darauf verwenden müssen. Die Wichtigkeit der Bürokratie ist so hoch und derart komplex, dass sie unsere Ressourcen für die eigentliche Arbeit bzw. unseren Blick für das wirklich Wesentliche immer mehr beeinträchtigen.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns überlegt, diese und die nächsten Beiträge einer Serie «Gesetzesänderungen» zu widmen und anschliessend wieder mit den Beiträgen zum Unternehmertum weiterzufahren. Wir beginnen mit dem Erbrecht. Anschliessend fahren wir mit der Datenschutzgesetzgebung fort und beenden die Serie mit der Aktienrechtsrevision.

Diese Fragen werden im Beitrag beantwortet:

1. Weshalb wird das Erbrecht nach so langer Zeit erheblich revidiert?

2. Wie erfolgt diese umfassende Revision?

3. Was wurde aus der vom Bundesrat für die faktische Lebenspartnerschaft geplante Härtefallregelung?

4. Was sind die wichtigsten Revisionspunkte der ersten Etappe per 01.01.2023?

5. Weshalb muss man über diese Änderungen informiert sein?

6. Was versteht man unter dem gesetzlichen Erbteil und dem Pflichtteil?

7. Welche Auswirkungen hat die aktuelle Erbrechtsrevision auf die Pflichtteile?

8. Welche Veränderung bringt die Erbrechtsrevision in Bezug auf die Nutzniessung nach Art. 473 ZGB mit sich?

9. Was ändert sich für das Scheidungs- bzw. Auflösungsverfahren?

10. Ändert sich die Bindungswirkung von Erbverträgen?

11. Welche weiteren Neuerungen der Revision gibt es?

12. Was bedeuten diese Änderungen für bereits bestehende Verfügungen von Todes wegen?

1. Weshalb wird das Erbrecht nach so langer Zeit erheblich revidiert?

Die aktuelle Erbrechtsrevision nahm ihren Anfang im Jahr 2015, in welchem der Bundesrat einen Bericht zur Modernisierung des Familienrechts erstellte. Der Anstoss für die Erstellung dieses Berichts erfolgte im Jahr 2012. In der Zusammenfassung zu diesem Bericht wird festgehalten, dass sich seit dem Erlass des Schweizerischen Zivilgesetzbuches im Jahr 1907 viel verändert hat, das Gesetz jedoch nur punktuell angepasst wurde.

Das Verständnis bezüglich der Rolle der Frau oder darüber, was eine Familie ist, um zwei Beispiele zu nennen, ist heute ein ganz anderes als zur Zeit als das Schweizerische Zivilgesetzbuch eingeführt wurde. Auch deshalb wurde die Möglichkeit der eingetragenen Partnerschaft geschaffen, die nun durch die Ehe für alle abgelöst wird. Bezüglich der faktischen Lebensgemeinschaft wurde die Einführung einer Härtefallklausel geprüft. Ebenfalls interessant ist der Pacte civil de soladirité (Pacs), der in Frankreich alternativ zur Ehe gewählt werden kann. Es handelt sich dabei um einen zivilrechtlichen Vertrag zwischen zwei erwachsenen Personen zur rechtlichen Regelung ihres Zusammenlebens. Dabei verpflichten sich die Vertragsparteien zu gegenseitiger materieller Hilfe und Beistand. Grundsätzlich haften die Parteien solidarisch für Schulden des täglichen Lebens. Die Vertragsparteien können alternativ jedoch auch einen Güterstand wählen. Dabei räumt die Existenz eines Pacs zwischen zwei Personen den Vertragsparteien gewisse Rechte arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Natur ein und ermöglicht das Erlangen einer Aufenthaltsbewilligung. Namensrechtlich und bezüglich familiärer Beziehungen ändert ein Pacs nichts, ebenso wenig wie er erbrechtliche Folgen zeitigt. Immerhin wird der Pacs bei der Berechnung der Erbschaftssteuer berücksichtigt. Zudem geniesst die überlebende Vertragspartei Schutz in Bezug auf das Zuhause und in gewissen Fällen besteht ein Anspruch auf ein Todesfallkapital. Der Bundesrat wurde vom Parlament mit der Prüfung der Einführung eines Pacs nach Schweizer Art beauftragt. Der entsprechende Bericht des Bundesrates wurde im März 2022 verabschiedet (https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/70844.pdf).

Darin hält der Bundesrat fest, dass ein Pacs in der Schweiz folgende Ziele haben könnte:

  • gegenseitige Unterstützungspflicht bezüglich des täglichen Lebens;
  • Regelung des Paares im Verhältnis zu Dritten, wenn auch in einem geringeren Ausmass als bei einer Ehe;
  • Alternative zur Ehe und der faktischen Lebensgemeinschaft.

Im Vergleich zur Ehe soll gemäss Bundesrat ein solches Institut dazu dienen, gewisse alltägliche Pflichten zwischen den Partnern zu begründen, ohne jedoch die erheblichen Auswirkungen einer Ehe für deren Zukunft zu haben. Bestünden gemeinsame Kinder, wären besondere Regeln für das Institut denkbar.

Es wurden seither auch weitere familienrechtliche Themen diskutiert wie beispielsweise das Kindesrecht (gemeinsames Sorgerecht, Angleichung der Position von ehelichen und ausserehelichen Kinder), eine Teilrevision des Adoptionsrechts oder das Unterhaltsrecht. Das Namensrecht hängt ebenfalls von den Werten und der Haltung unserer Gesellschaft ab und musste entsprechend angepasst werden. Aufgrund der Wandlung des Familienbildes in unserer Gesellschaft wurden nicht nur familienrechtliche und namensrechtliche Anpassungen notwendig, sondern auch erbrechtliche.

Die daraus erfolgte Modernisierung des Erbrechts ist nun daran, gesetzlich eingeführt zu werden. Sie soll das aktuelle Familienverständnis der Bevölkerung widerspiegeln. Insbesondere geht es dabei um mehr Flexibilität des Erblassers. Übergangsbestimmungen gibt es nicht. Es gilt das Todestagprinzip und zwar bezüglich der Erben und des Erbgangs. Dieses bedeutet, dass dasjenige Recht auf den Erbfall anzuwenden ist, das im Todeszeitpunkt in Kraft war.

Wichtig zu wissen ist, dass nach altem Recht erstellte Verfügungen von Todes wegen ihre Gültigkeit behalten, sich ihre Anfechtung bei einem Erbfall ab dem 01.01.2023 jedoch nach neuem Recht richtet. Dies bedeutet beispielsweise, dass wenn ein Nachkomme aufgrund eines Testaments lediglich 2/8 seines gesetzlichen Erbteils erhält, der Pflichtteil als gewahrt gilt, da dieser nach neuem Recht ½ des gesetzlichen Erbteils beträgt und nicht mehr 3/8. Die nach altem Recht erstellte Verfügung von Todes wegen ist somit aufgrund der Geltung des neuen Rechts nicht erfolgreich anfechtbar.

Wir bitten Sie zu beachten, dass sämtliche nachfolgenden Ausführungen über Ehegatten grundsätzlich gleichermassen für eingetragene Partnerschaften gelten. Die eingetragene Partnerschaft ist ein der Ehe ähnliches Institut, ist dieser jedoch nicht in allen Punkten gleichgestellt. Nach erfolgter Abstimmung im Herbst 2021 wird ab dem 1. Juli 2022 das Institut der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zugänglich. Ab diesem Zeitpunkt können bisherige eingetragene Partnerschaften auf Wunsch der Eingetragenen in eine Ehe umgewandelt oder beibehalten werden. Neue eingetragene Partnerschaften können nicht mehr begründet werden. Ein zentraler Unterschied zwischen der eingetragenen Partnerschaft und der Ehe ist, dass bei ersterer die Vermögen der Partner grundsätzlich getrennt bleiben, womit eine Auflösung der eingetragenen Partnerschaft keine Ausgleichszahlungen nach sich zieht. Je nachdem, was die eingetragenen Partner bislang vereinbart haben und bei Umwandlung in eine Ehe künftig vereinbaren möchten, sollten sie die Erstellung eines Ehevertrages oder gar eines Erb- und Ehevertrages in Betracht ziehen und sich beraten lassen.

Die zu den Vorschlagsbeteiligung bei der Errungenschaftsbeteiligung gemachten Ausführungen in Bezug auf das Ehegüterrecht gelten auch für die Beteiligung am Gesamtgut.

2. Wie erfolgt diese umfassende Revision?

Die Revision erfolgt in drei Etappen.

Etappe Nr. 1: Diese betrifft das Pflichtteilsrecht, ehegüterrechtliche und erbrechtliche Aspekte im Scheidungs- bzw. Auflösungsverfahren, die Nutzniessung nach Art. 473 ZGB, die Vorschlags- bzw. Gesamtgutszuweisung, die Bindungswirkung beim Erbvertrag, die Vorsorge und die Herabsetzung. Diese Etappe tritt am 01.01.2023 in Kraft.

Etappe Nr. 2: Diese Etappe befasst sich namentlich mit Informationsrechten der Erben, dem audiovisuellen Nottestament, Massnahmen gegen Erbschleicherei und die Aufsicht über den Willensvollstrecker. Die Verabschiedung der Botschaft durch den Bundesrat wird voraussichtlich im Jahr 2023 erfolgen. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens ist noch nicht klar.

Etappe Nr. 3: In einem dritten Teil geht es um die erbrechtliche Unternehmensnachfolge. Diese soll erleichtert werden. Auch aus diesem Grund wird das Pflichtteilsrecht in der ersten Etappe modernisiert.

3. Was wurde aus der vom Bundesrat für die faktische Lebenspartnerschaft geplante Härtefallregelung?

Der Bundesrat wollte anlässlich der Erbrechtsrevision eine Härtefallregelung einführen, die den faktischen Lebenspartner im Todesfall mittels eines Unterstützungsanspruchs vor Armut schützt. Diese Regelung wurde vom Parlament abgelehnt und findet deshalb keinen Eingang in das revidierte Gesetz.

4. Was sind die wichtigsten Revisionspunkte der ersten Etappe per 01.01.2023?

Ein wichtiger Punkt ist das Pflichtteilsrecht. Im Erbrecht findet sich im Pflichtteilsrecht ein zentraler Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Individuums, indem ein Erblasser gezwungen wird, einen gewissen Teil seines Nachlasses bestimmten Personen zu hinterlassen. Dadurch stellt der Gesetzgeber eine Art Querfinanzierung her. Der Gedanke beruht u.a. darauf, dass Nachkommen ihre Eltern versorgen und Eltern ihre Nachkommen. Durch diese erzwungene Solidarität hat der Gesetzgeber der Bevölkerung einerseits seine Moralvorstellung aufgezwungen, andererseits schützt er den Staat vor einer erheblichen finanziellen Last. Die Zahl der Pflegeheime und unser tägliches Leben zeigen, dass eine derartige Solidarität innerhalb einer Familie kontinuierlich und bleibend abgenommen hat. Der Wunsch nach Flexibilität, auch in Zusammenhang der vielfältigeren Konstellationen des Zusammenlebens und des Verlustes der Monopolstellung der Ehe, hat zugenommen. Hinzu kommt, dass sich der Arbeitnehmer durch die berufliche Vorsorge für den Lebensabend absichern kann. Ein weiterer Aspekt ist der Fortbestand von Familienunternehmen, der durch eine Pflichtteilsreduktion gesicherter wird, da es dadurch einfacher wird, ein Unternehmen einem Nachkommen allein zu hinterlassen. Erben ausserhalb des Kreises der gesetzlichen Erben wie faktische Lebenspartner oder gewisse Mitglieder von Patchworkfamilien können aufgrund der Pflichtteilsrevision stärker berücksichtigt werden. Weiter verschafft diese der privatorischen Klausel eine grössere Bedeutung in doppelter Hinsicht. Mit einer derartigen Klausel ordnet der Erblasser an, dass eine Person nichts erhält oder auf den Pflichtteil gesetzt wird, sofern sie die Verfügung von Todes wegen anficht oder sonst dem Willen des Erblassers zuwiderhandelt. Mit der Senkung des Pflichtteils fällt der betreffende Erbe wesentlich tiefer als unter dem bisherigen Recht und wird es sich noch besser überlegen, ob er sich fügen oder das Testament anfechten bzw. diesem zuwiderhandeln soll. Durch die Pflichtteilsänderungen wird Ungleichbehandlungen von Erben Vorschub geleistet, was zu vermehrten erbrechtlichen Streitigkeiten führen kann als dies bisher der Fall war. Vor diesem Hintergrund dürfte die Klausel ebenfalls an Bedeutung gewinnen, da sie der Streitvermeidung dient. Die privatorische Klausel wird auch als kassatorische Klausel, Straf- oder Verwirkungsklausel bezeichnet.

Weitere wichtige Änderungen oder aber Kodifizierungen umstrittener Punkte erfolgen namentlich in Bezug auf den Zeitpunkt des Verlusts des Pflichtteilsanspruchs im Scheidungs- oder Auflösungsverfahren, die Bindungswirkung von Erbverträgen, die Erhöhung der verfügbaren Quoten bei der Nutzniessung, die überhälftige Vorschlagszuweisung an den Ehegatten, die gebundene Selbstvorsorge und die Herabsetzung.

5. Weshalb muss man über diese Änderungen informiert sein?

Testament und Erbvertrag sind zwei Mittel zur Nachlassregelung. Viele Menschen haben ein Testament zuhause oder auf der Einwohnergemeinde oder haben bei einem Notar einen Erbvertrag oder Ehe- und Erbvertrag erstellen lassen. Diese getroffenen Regelungen werden ab Inkrafttreten des revidierten Erbrechts diesem nicht entsprechen und können allenfalls zu erhöhtem Interpretationsspielraum, Missdeutungen und einer erhöhten Gefahr für Nachlassstreitigkeiten führen. Denkbar ist auch, dass die durch die neue Rechtslage geschaffenen Möglichkeiten der Nachlassregelung dem Willen eines künftigen Erblassers mehr entsprechen könnten. Durch die Revision erhält der Erblasser nämlich mehr Flexibilität bei der Regelung seines Nachlasses. Beispielsweise wird die frei verfügbare Quote höher. Es sind aber auch Änderungen vorgesehen, die allenfalls ein neuer Regelungsbedarf bei Scheidungsfallklauseln und anderen Klauseln zur Folge hat. Es ist deshalb notwendig, dass alle abgeschlossenen Erbverträge und auch die damit in Zusammenhang stehenden Eheverträge sowie die erstellten Testamente auf ihre Vereinbarkeit mit dem revidierten Erbrecht und mit dem wirklichen Willen der regelnden Person hin überprüft werden.

6. Was versteht man unter dem gesetzlichen Erbteil und dem Pflichtteil?

Das schweizerische Erbrecht enthält eine vollständige Regelung für den Fall, dass ein Erblasser keine Bestimmungen über seinen Nachlass getroffen hat. Es regelt u.a. wer in diesem Fall wie viel erbt. Der gesetzliche Erbe erhält in diesem Fall den gesetzlichen Erbteil.

Wer ist gesetzlicher Erbe?

Erbberechtigt sind beim Fehlen einer Regelung durch den Erblasser die gesetzlichen Erben. Um wen es sich dabei handelt, kann dem schweizerischen Zivilgesetzbuch entnommen werden. Es lohnt sich auch, einen Blick hineinzuwerfen. Das schweizerische Zivilgesetzbuch finden Sie unter «www.fedlex.admin.ch» unter dem Suchbegriff «ZGB». Die Abteilung Erbrecht beginnt beim Artikel 457, und zwar mit den gesetzlichen Erben. In erster Linie gelten demnach die Nachkommen eines Erblassers als erbberechtigt. In zweiter Linie, d.h. beim Fehlen von Nachkommen und deren Nachkommen, kommt der elterliche Stamm des Erblassers zum Zug. In dritter Linie und somit beim Fehlen von Nachkommen und Familienmitglieder des elterlichen Stammes erbt der grosselterliche Stamm.

Vorbehalten bleibt immer der überlebende Ehegatte, der sowohl neben den Nachkommen als auch neben dem elterlichen Stamm erbberechtigt ist. Gegenüber dem grosselterlichen Stamm geniesst er den Vorrang, womit bei Vorhandensein eines überlebenden Ehegatten der grosselterliche Stamm nicht erbberechtigt ist. Wurde keine Regelung durch den Erblasser getroffen und sind keine gesetzlichen Erben vorhanden, fällt der Nachlass an das Gemeinwesen.

Wie viel erben die gesetzlichen Erben?

Die Nachkommen erben zu gleichen Teilen. Hinterlässt somit ein Erblasser beispielsweise drei Kinder und keinen überlebenden Ehegatten, erhält jedes Kind eine Erbquote von 1/3 bezogen auf den ganzen Nachlass. Hinterlässt der Erblasser allerdings noch einen überlebenden Ehegatten, erhalten die Nachkommen gemeinsam die Hälfte des Nachlasses. Die andere Hälfte steht dem überlebenden Ehegatten zu. Sind keine Nachkommen vorhanden und hinterlässt der Erblasser einen überlebenden Ehegatten und Personen des elterlichen Stammes, erhält der überlebende Ehegatte drei Viertel des Nachlasses, der elterliche Stamm insgesamt einen Viertel. Gibt es weder Ehegatte noch Nachkommen, erhält der elterliche Stamm die ganze Erbschaft. Gibt es weder Nachkommen, überlebenden Ehegatten noch Personen des elterlichen Stammes, erbt der grosselterliche Stamm den ganzen Nachlass.

Somit verändert sich der gesetzliche Erbteil pro Personengruppe je nach familiärer Konstellation.

Was ist der Pflichtteil und wie hängt dieser mit dem gesetzlichen Erbteil zusammen?

Der Pflichtteil kommt dann zum Tragen, wenn jemand seinen Nachlass regelt und eine andere als vom Gesetzgeber vorgesehene Nachlasszuteilung vorsieht. Hier stellt sich die Frage, in welchem Umfang der Erblasser überhaupt eine andere Regelung treffen kann. Dabei sind zwei Komponenten zu berücksichtigen, nämlich die personelle und die quotenmässige. Der Gesetzgeber gewährt dem Erblasser ausserhalb der Pflichtteile, die zwingend zu wahren sind, freie Hand, über sein Vermögen zu verfügen.

Pflichtteilserben nach heutigem Recht sind Nachkommen, überlebende Ehegatten und Eltern des Erblassers.

Um den Pflichtteil berechnen zu können, muss zuerst der gesetzliche Erbteil eines Erben berechnet werden. Der Pflichtteil eines Nachkommen beträgt drei Viertel seines gesetzlichen Erbteils. Der Pflichtteil der Eltern des Erblassers – und zwar ausschliesslich der Eltern – beträgt je die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils. Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten beträgt die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils. Diese gesetzliche Regelung enthält eine Beschränkung der Verfügungsfreiheit in personeller Hinsicht und hinsichtlich der Menge, die gewissen Personen zwingend zustehen. Dieser Pflichtteil kann der Erblasser niemand anderem zuwenden als dem Erben, der pflichtteilsberechtigt ist. Somit sind Nachkommen, Eltern und überlebende Ehegatten nicht nur gesetzliche Erben, sondern auch Pflichtteilserben. Sind weder Nachkommen noch Eltern des Erblassers noch ein überlebender Ehegatte vorhanden, kann der Erblasser frei über sein ganzes Vermögen verfügen. Dies bedeutet, dass nur gesetzliche Erben, die pflichtteilsgeschützt sind, einen zwingenden Anspruch auf die Nachlassmasse um Umfang des jeweiligen Pflichtteils haben. Alle übrigen gesetzlichen Erben geniessen dieses Sonderprivileg nicht und können mittels Verfügung von Todes wegen vollständig ausgeschlossen werden.

Der Umfang des Pflichtteils ergibt sich aus dem jeweiligen gesetzlichen Erbteil. Dies kann anhand zweier einfacher Beispiele verdeutlicht werden.

Beispiel 1: Stirbt die Person A mit einem Nettonachlassvermögen von CHF 800’000.00 und hinterlässt vier Kinder, erhält jedes dieser Kinder einen Viertel bzw. CHF 200’000.00 des gesamten Nachlasses, sofern keine anderweitige Regelung vorliegt. Ihr jeweiliger Pflichtteil beträgt drei Viertel des gesetzlichen Erbteils und somit drei Viertel des Nettonachlassvermögens geteilt durch vier, ausmachend 150’000.00 pro Person. Die sogenannte frei verfügbare Quote beträgt in diesem Fall einen Viertel des Nachlasses, ausmachend CHF 200’000.00.

Beispiel 2: Ausgehend von Beispiel 1 tritt hier noch ein überlebender Ehegatte hinzu. In diesem Fall haben dieser und die Nachkommen den Nachlass zu teilen und erhalten als gesetzlichen Erbteil je die Hälfte davon. Demnach stehen CHF 400’000.- dem überlebenden Ehegatten und CHF 400’000.- den Nachkommen insgesamt zu, wovon jedes Kind CHF 100’000.- erhält. Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten beträgt gemäss der gesetzlichen Regelung die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils und in diesem Fall somit CHF 200’000.00. Der Pflichtteil der Nachkommen insgesamt beträgt drei Viertel ihres gesetzlichen Erbteils und somit CHF 300’000.00, ausmachend CHF 75’000.00 pro Person. Die frei verfügbare Quote beläuft sich auf drei Achtel, ausmachend CHF 300’000.00.

Die frei verfügbare Quote kann frei nach dem Willen des Erblassers verteilt werden, während die Pflichtteile bei Nichtbeachtung von den Pflichtteilserben geltend gemacht und gerichtlich durchgesetzt werden können.

7. Welche Auswirkungen hat die aktuelle Erbrechtsrevision auf die Pflichtteile?

Der Gesetzgeber hat auf das Bedürfnis der Bevölkerung, möglichst frei über das Vermögen verfügen zu können sowie auf die veränderten sozialen Strukturen und Arbeitsbedingungen reagiert und in der Folge das Pflichtteilsrecht gelockert. Ab dem 01.01.2023 wird der Pflichtteil der Nachkommen nicht mehr drei Viertel ihres gesetzlichen Erbteils betragen, sondern nur noch die Hälfte. Sie werden dadurch dem überlebenden Ehegatten gleichgestellt. Der Pflichtteil der Eltern des Erblassers wird gestrichen. Somit werden nur noch die Nachkommen und der überlebende Ehegatte pflichtteilsgeschützte Erben sein.

8. Welche Veränderung bringt die Erbrechtsrevision in Bezug auf die Nutzniessung nach Art. 473 ZGB mit sich?

In Art. 473 ZGB wird Ehegatten die Möglichkeit eingeräumt, einander im Todesfall zu bevorzugen und so weit wie möglich zu begünstigen. Zum heutigen Zeitpunkt kann die Nutzniessung dem überlebenden Ehegatten am ganzen den Nachkommen zufliessenden Teil des Nachlasses zugewandt werden. Zusätzlich besteht eine frei verfügbare Quote von einem Viertel. Dieser kann dem überlebenden Ehegatten zusätzlich zu Eigentum zugewiesen werden. Neu wird diese verfügbare Quote verdoppelt, nämlich auf die Hälfte des Nachlasses. Resultat davon ist, dass der Erblasser ob mit oder ohne Nutzniessung dieselbe verfügbare Quote hat. Somit kann dem überlebenden Ehegatten an einem grösseren Teil des Nachlassvermögens Alleineigentum eingeräumt werden.

Bei der Nutzniessung ist immer wichtig im Vertrag zu erwähnen, ob der überlebende Ehegatte sicherstellungspflichtig sein soll oder nicht. In aller Regel dürfte die letzte Variante gewählt werden, da es mit der Meistbegünstigung oft darum geht, dass gemeinsame Liegenschaften nicht zwecks Auszahlung von Nachkommen veräussert werden müssen, so dass der überlebende Ehegatte das Familienheim weiterbewohnen kann.

9. Was ändert sich für das Scheidungs- bzw. Auflösungsverfahren?

Nach heutigem Recht bleiben Ehegatten, solange die Scheidung nicht formell rechtskräftig ist, einander gegenüber erbberechtigt, und zwar auch als Pflichtteilserben. Dadurch können Scheidungen bewusst im Hinblick auf das Erbrecht verzögert werden.

Nach neuem Recht verliert der Ehegatte den Pflichtteilsanspruch bereits, wenn im Todeszeitpunkt des anderen Ehegatten ein Scheidungsverfahrens rechtshängig war und auf gemeinsames Begehren eingeleitet oder fortgesetzt wurde oder aber die Ehegatten seit zwei Jahren getrennt gelebt haben. Dadurch soll der taktischen Verzögerung von Scheidungen entgegengewirkt werden. Da der überlebende Ehegatte ab diesem Zeitpunkt nur noch sein gesetzliches Erbrecht behält und nicht mehr Pflichtteilserbe ist, kann er mittels Verfügung von Todes wegen vollständig übergangen werden. Damit diese Lösung aktiviert werden kann, muss der jeweilige Ehegatte tätig werden und eine entsprechende Regelung treffen.

Bei Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens, das den Verlust des Pflichtteilsanspruch des überlebenden Ehegatten bewirkt, gelten Vereinbarungen über die Vorschlags- bzw. Gesamtgutszuweisung im Todesfall eines Ehegattens nicht. In beiden Fällen bleibt eine anderweitige Vereinbarung der Ehegatten vorbehalten. Bisher galt dies nur für die güterrechtliche Auseinandersetzung bezüglich des konkreten Scheidungsverfahrens und nicht bezüglich derjenigen, die erfolgt, sofern ein Ehegatte während des Scheidungsverfahrens verstirbt. Zudem kann der überlebende Ehegatte keine Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen (Testamente, Erbverträge), die vor der Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens errichtet wurden, mehr erheben.

Mit der rechtskräftigen Scheidung fallen sowohl der Ehevertrag als auch der Erbvertrag und das Testament hinsichtlich der Vereinbarungen zwischen den Ehegatten und Bestimmungen betreffend die Ehegatten dahin. Sie müssen nicht explizit aufgehoben werden. Wird jedoch eine Verfügung von Todes wegen nach Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens begründet, ist diese auch nach rechtskräftiger Scheidung unter den ehemaligen Ehegatten gültig.

Auch hier gilt das Gesagte grundsätzlich auch für die eingetragene Partnerschaft.

10. Ändert sich die Bindungswirkung von Erbverträgen?

Nach neuem Recht gilt, vorbehältlich einer anderweitigen Vereinbarung, dass bei Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens, das den Verlust des Pflichtteilsanspruchs des überlebenden Ehegatten bewirkt, im Todesfall keine Ansprüche des überlebenden Ehegatten aus einer Verfügung von Todes wegen, die vor Rechtshängigkeit errichtet wurde, geltend machen kann. Dies bedeutet somit auch, dass der Erbvertrag in diesem Fall seine Bindungswirkung verliert. Wurde die Regelung in einem Testament festgehalten, kann dieses jederzeit neu errichtet werden. Damit kann in einem solchen Fall ein Ehegatte den anderen Ehegatten mittels Testament oder eines späteren Erbvertrages einseitig vollständig übergehen. In diesem Fall kann die überlebende Ehegattin keine Ansprüche mehr aus dem Erbvertrag mehr geltend machen. Die Maximalbegünstigung und die Teilungsvorschriften fallen dahin. Vorbehalten bleibt eine abweichende Vereinbarung im Erbvertrag oder im Testament.

11. Welche weiteren Neuerungen der Revision gibt es?

Der Pflichtteil kann vom Pflichtteilsberechtigten eingefordert werden. Wurde er beeinträchtigt, kann er mittels Herabsetzung geltend gemacht werden.

Eherechtlich können sich Ehegatten beispielsweise unter dem Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung – dies ist der ordentliche Güterstand, dem Ehegatten automatisch unterstehen, sofern sie keinen anderen Güterstand vereinbart haben – meistbegünstigen, indem sie einander den hälftigen Vorschlag zuweisen. Dadurch fällt im Todesfall dem überlebenden Ehegatten die ganze Errungenschaft zu, ohne dass der Teil des verstorbenen Ehegatten in den Nachlass gelangt. Bisher war bezüglich dieser Zuweisung umstritten, um welche Art von Zuweisung es sich handelt. Nach neuem Recht stellt diese eine Zuwendung unter Lebenden dar. Dies ist insbesondere hinsichtlich der Pflichtteilsberechnung und der Herabsetzungsreihenfolge von Bedeutung. Durch die Qualifikation ist der zugewiesene überhälftige Vorschlag zwar nicht Bestandteil der Nachlassmasse, unterliegt jedoch bei einer Pflichtteilsverletzung ebenfalls der Herabsetzung.

Ebenfalls unklar war bisher, ob Ansprüche aus der gebundenen Vorsorge und der Säule 3a in den Nachlass fallen oder nicht. Das neue Recht stellt klar, dass diese Ansprüche nicht in den Nachlass fallen und deshalb direkt an die Begünstigten ausbezahlt werden können. Dies muss den Erben nicht mitgeteilt werden. Diese Ansprüche unterliegen bei Pflichtteilsverletzungen jedoch auch der Herabsetzung.

Bei der Herabsetzung sind zuerst die Verfügungen von Todes wegen zu reduzieren und anschliessend diejenigen unter Lebenden. Der Herabsetzung unterliegen nach neuem Recht auch die Interstaterben (Erben der gesetzlichen Erbfolge). Dies war bislang umstritten. Weiter wird durch das revidierte Erbrecht die Reihenfolge der Herabsetzung der Verfügungen unter Lebenden definiert. Zuerst werden Zuwendungen aus Ehe- und Vermögensverträgen herabgesetzt. Danach sind frei widerrufbare Zuwendungen und Leistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge an der Reihe. Darauf folgen alle weiteren Zuwendungen entsprechend dem Zeitpunkt der Zuwendung.

12. Was bedeuten diese Änderungen für bereits bestehende Verfügungen von Todes wegen?

Es gibt Verfügungen von Todes wegen und Eheverträge, die im Hinblick auf die vorliegende Revision des Erbrechts abgeschlossen und entsprechend formuliert wurden. Andere Verfügungen von Todes wegen wiederum berücksichtigen die Revision nicht. Insbesondere bei solchen Testamenten oder Ehe- und Erbverträgen ist Vorsicht geboten, da die darin enthaltene klare Regelung unter bisherigem Recht unter neuem Recht auslegungsbedürftig werden könnte. Sobald eine Anordnung auslegungsbedürftig ist, besteht Ermessenspielraum und der effektive Wille des Erblassers ist nicht mehr gesichert. Zu prüfen ist auch, ob das neue Erbrecht unter Umständen eine bessere Umsetzung der eigenen Vorstellungen zulässt als das bisherige.